Über 300 Jugendliche aus ganz Deutschland bekamen die Chance, bei dem Planspiel „Jugend und Parlament 2013“ mitzumachen. Auf Vorschlag eines Bundestagsabgeordneten, in meinem Falle Antje Tillmann (CDU), nahm ich für drei Tage die fiktive Rolle einer Bundestagsabgeordneten an, inklusive politischer Gesinnung und persönlichem Profil. Als „Charlotte Rudoph“, 64 Jahre, Juristin und zweifache Mutter, war ich Mitglied der „Liberalen Reformpartei“ (LRP), dem Pendant zur FDP. Neben dieser Partei gab es auch „Die Christliche Volkspartei“ (vgl. CDU), „Die Arbeitnehmerpartei Deutschlands“ (vgl. SPD), „Die Partei für soziale Gerechtigkeit“ (vgl. Linke) und „Die Ökologisch-soziale Partei“ (vgl. Bündnis 90/Die Grünen). Die Organisatoren versuchten sich so weit wie möglich an der politischen Realität zu orientieren, auch was die Sitzplätze im Bundestag und die Koalitionspartner anging. Die Legislaturperiode dauerte statt den normalen vier Jahren für uns genau drei Tage: Vom ersten bis zum vierten Juni 2013.
Während dieser Zeit wählten wir Fraktions- und Ausschussvorsitzende, bestimmten die Pressesprecher und Schriftführer – und das alles rasend schnell. Für weiteren inhaltlichen Treibstoff sorgten die vier fiktiven Gesetzesentwürfe, die es durch das Gesetzgebungsverfahren zu bringen galt.
Ich befasste mich mit der „Anonymisierung von Bewerbungen“. Dieser Gesetzesentwurf sollte Diskriminierung in Bewerbungsverfahren für Bundesbehörden vorbeugen. Angelehnt an Bewerbungsverfahren in den USA und Großbritannien, sollten Bewerbungen ohne Foto, Alter, Namen und Geschlecht gekennzeichnet sein. Die Grundidee für den Gesetzesvorschlag des Bundesrates war es, dass anonyme Bewerbungen der einzige Weg seien, eine vorurteilsfreie Bewertung von Kandidaten aufgrund von Qualität, nicht aber Herkunft, Aussehen oder Alter zu erreichen. Jeder Teilnehmer bekam vorab schon Hintergrundinformationen, inklusive der grundsätzlichen Haltung der „eigenen“ Partei – Planspiel eben.
Sofort nach dem ersten Durchlesen der Gesetzesvorschläge brachen innerparteiliche Diskussionen aus. Immer wieder brachten Parlamentarier neue Ideen zur Änderung des Gesetzes ein. Jeder hatte eine andere Meinung, teilweise auch durch reale Einstellungen zu politischen Belangen. Erst als sich eine Grundposition zu den einzelnen Gesetzesentwürfen herauskristallisierte, verschob sich die Debatte zur Parteispitze und den Koalitionspartnern – auf höherer Ebene kam man erneut ins Gespräch.
Die Liberale Reformpartei argumentierte vehement gegen das anonyme Bewerbungsverfahren: Eine anonyme Bewerbung sei eine Einschränkung der Persönlichkeit. Jeder Bewerber bringe nicht nur ein Paket von Training, Expertise und Ausbildung mit sich, sondern auch persönliche Fähigkeiten und ein individuelles Profil, das im Job eine große Rolle spielen kann.
Die Koalitionsgespräche wurden immer hitziger. Zugeständnisse und Kompromisse waren nur schwer zu erreichen. Die Verhandlungsspitze der Liberalen gegenüber dem Koalitionspartner, der Christlichen Volkspartei, drohte sogar mit Koalitionsbruch, wodurch einige liberale Änderungen im Gesetz durchgesetzt werden konnten.
„Der Adlerkurier“, die planspielinterne Presse, versuchte das politische Geschehen zu protokollieren. Von Medienhetze bis hin zu politischer Resignation wurde alles gedruckt. Auch die Pressekonferenz war voller Turbulenzen: Die „Linken“ bemängelten, dass sie für ihre Doppelspitze nur einen Sitzplatz in der Konferenz bekamen und deshalb verließ die gesamte Partei mal eben den Raum vor laufenden Kameras. Gerüchte wurden gestreut, und die Journalisten gingen jedem heißen Hinweis nach und bombardierten die Politiker mit harschen Fragen.
Der Höhepunkt von „Jugend und Parlament“ war die finale Debatte im Plenum und die Abstimmung über die Gesetzesentwürfe. Rhetorische Fertigkeiten wurden nun im großen Rahmen getestet. Ein weiterer Unterschied zur Realität kam hier zum Vorschein: Alle Abgeordneten waren im Bundestag anwesend und verhielten sich aufmerksam. Niemand fehlte, niemand schlief ein, oder malte auf dem Papier lustige Bildchen.
FAZIT
An den drei Tagen konnten die Jugend-Parlamentarier lebendige Einblicke in die Arbeitsweise des Deutschen Bundestages bekommen. So einfach wie wir anfangs dachten, ist die Arbeit der Politiker an manchen Stellen keinesfalls. Man trägt eine riesige Verantwortung und in einer Demokratie gibt es zahllose, verschiedene Ansichten, die oft nicht einmal unter mehrere Hüte passen. Die eigene Meinung zu finden, zu verteidigen und trotzdem noch offen für Kompromisse zu sein, ist schwer. Auch wenn einiges an diesen Tagen in einen fanatischen Machtkampf ausartete, konnte jedermann am Abend in der Jugendherberge mit seinem „politischen Gegner“ ein nettes Wort wechseln – so wie (hoffentlich) auch in der Realität.
Fotos: Florian Gehm