Freundschaft ist ein Wort im Wandel. Aber was ist aus den Werten geworden?
„Man kennt nur die Dinge, die man zähmt“, sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!“. Antoine de Saint-Exupéry.
Ein Dossier von Dario-Lucas Helbing | Fotos: Florian Kaps, Linus Walter
„Der kleine Prinz“, ein wunderbares Buch, voller kleiner Weisheiten, über die es sich nachzudenken lohnt. „FreundIn Hinzufügen“, und Zack! , der Benutzer hat einen neuen Freund bei Facebook. Ist das erstrebenswert? Gibt es so etwas wie Freundschaften noch oder werden sie zum Auslaufmodell? Auf den Spuren dieser Frage ist es essentiell, ein wenig bei den alten Philosophen zu kramen und sich in dieses Thema erst einmal hineinzufuchsen. So erkannten beispielsweise bereits Platon und Aristoteles die Wichtigkeit der Freundschaft.
Die Freundschaft bei Platon – Erste Versuche einer Klassifizierung
Platon schrieb in seinem Dialog „Lysis“ über die verschiedenen Arten der Freundschaft sowie ihre Auswirkungen. Ein wahrer Freund, so Platon, sei jemand, der die Idee des Guten verkörpere und dem Leben einen Sinn gebe. Mit einem Freund könne man teilen, eine grundlegende Fähigkeit um das Zusammenleben zwischen Menschen zu regeln. Anscheinend schon damals ein Problem, denn zu dieser Zeit hat es genauso Kriege gegeben wie heute und alle aus dem gleichen, leidigen Grund, der immer wieder auftaucht und das Grundübel der Menschen ist: die Begierde nach mehr und immer mehr und die damit verkommende Fähigkeit zu teilen. Ein Freund dagegen sei jemand, der nach den gleichen Dingen strebt, wie der Freund seiende selbst. Er teilt einfach etwas mit dem Freund und dies ist die Voraussetzung für das Entstehen einer Freundschaft. Im Verlaufe der Freundschaft entsteht Vertrauen und dies führe dazu, dass Freunde materielle und geistliche Dinge miteinander teilen. Ein Freund ist somit jemand, der „gut“ ist, da er eine schlimme menschliche Eigenschaft überwindet, das Begehren. Somit lebt er zugleich mit einem anderen Menschen in einem wundervollen Frieden, welcher durch dieses solidarische Vertrauen entsteht, welches wiederum durch das Teilen entsteht. Soweit zu Platon.
Aristoteles‘ weiterführende Gedankengänge
Der große Philosoph nennt zuerst einmal bestimmte Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit sich eine echte Freundschaft entwickeln kann.
Die Erste ist, dass der Fühlende Gegenliebe erfährt, so ist es also ausgeschlossen, dass sich zwischen leblosen Objekten und Menschen eine Freundschaft entwickelt. Zudem muss es innerhalb der Freundschaft ein bestimmtes Wohlwollen dem Anderen gegenüber geben. Somit muss er ihm immer Gutes wünschen, auch wenn er selbst dadurch Schaden erfährt bzw. keinen praktischen Nutzen daraus zieht.
Die letzte Bedingung ist die der Gesinnung. Denn was nützen die ersten beiden, wenn ein Freund nicht weiß, wie es tatsächlich um das Gemüt des Anderen bestellt ist, wenn dieser nicht weiß, ob er denn nur ausgenutzt wird. Daher ist es essentiell, sein Wohlwollen und seine Liebe auch zum Ausdruck zu bringen und den anderen daran teilhaben zu lassen. Nur wenn all diese Drei erfüllt werden, kann von einer der nachfolgenden Freundschaftsarten die Rede sein: der nützlichen, der lustvollen und der vollkommenen Freundschaft. Von einer Nutzfreundschaft spricht Aristoteles dann, wenn die Menschen, die voneinander Gutes erfahren und sich lieben, dies nur tun, um eben dieser Liebe willen. Wer den Anderen nur liebt, weil er einem gut tut, bzw. ihm Vergnügen bereitet, aber nicht seinen wahren Charakter, dann ist dies eine Lustfreundschaft. Erstere findet man nach Platon häufig unter älteren Menschen, letztere hingegen unter jüngeren. Beide Arten sind in den Augen Aristoteles‘ Freundschaften zweiter Klasse.
Zur wahren, ja zur vollkommenden Freundschaft dagegen gelange ein Freund aber nur dann, wenn er den Anderen aufgrund seiner Charaktereigenschaften liebt und ein gewissermaßen altruistisches Verhalten an den Tag legt, sprich dem anderen nur das Beste wünscht, ungeachtet dessen, was dies einem selber an Nutzen und Spaß bringen könnte. Ausgeschlossen sind Nutzen und Lust aber keineswegs, denn nicht nur an der gegenseitigen homoerotischen Liebe der Tugenden finden Freunde Gefallen, sie profitieren auch von oben genannten Vorzügen.
Eine weitere Eigenschaft nennt Aristoteles noch: das Zusammenleben. Er ist der Meinung, dass wahre Freundschaft nur dann entstehen kann, wenn zwei Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg miteinander leben, wohnen, am Leben des anderen sowohl geistlich, als auch körperlich teilhaben und sich wahrlich lieben lernen. Funktionieren tut dies nur, wenn die Partner sich ähnlich sind. Letztendlich differenziert er abermals zwischen der Freundschaft unter Gleichen und unter Ungleichen. Oben genannte Freundschaftsarten zählt er zu den Freundschaften unter gleichgestellten Personen. Sie funktionieren nur, wenn man einander ebenbürtig ist. Letztere Art ist eher eine Form der Ehrerbietung und Pietät, als eine wahre Freundschaft und beschreibt beispielsweise das Verhältnis zwischen Bürger und Staat bzw. zwischen Kind und Vater, wobei der jeweils Unterlegene mehr an Liebe und Respekt dem Überlegenen entgegenbringen muss, auch wenn er letztendlich weniger zurückbekommt. Zur Aufrechterhaltung dieser Beziehung ist also gewissermaßen ein erhöhtes Engagement an altruistischem Handeln des Untergebenen erforderlich. Obwohl das jetzt alles ganz interessant klingt, sollte man bedenken, dass von dem guten Aristoteles, auch so Sprüche stammen, wie: „Die Frau ist ein schlechterer Mann.“
Die Freundschaft in zeiten von erheblichen Klassenunterschieden
Ein Zeitsprung l in die nächste Epoche der Philosophiegeschichte führt ins Mittelalter. Hier spielte vor allem in der Minne, welche letzten Endes eine Art freundschaftlicher Beziehung zwischen Ungleichen ist, eine große Rolle. Der Mann stellte sich in den Dienst einer Frau, schmachtete sie an und diente ihr, obwohl die Frau die Liebe nie erwiderte. Eine wahrlich nicht sehr schöne Zeit für die Liebenden, die meist verurteilt worden, wenn ihre Liebe nicht den gesellschaftlichen Maßstäben entsprach. Weiterhin wurde die Freundschaft in zahlreichen Heldenliedern thematisiert und somit ein klares Bild dessen geschaffen, was einen Freund ausmacht. Die Freundschaft zwischen Gleichgestellten verpflichtet die Freunde zu gegenseitiger Hilfe und Beratung. Hierbei spielt das Wörtchen „verpflichtet“ eine große Rolle, denn die Freundschaft gleicht einem bindenden Vertrag, dessen Aufhebung nicht realisierbar ist. Es galten weiterhin teilweise ähnliche Bedingungen wie in der Antike, daher wurden weiterhin Debatten darüber geführt, ob denn DIE Freundschaft überhaupt entstehen kann, eine Frage, die auch heute noch sowohl die Soziologie, als auch die Philosophie beschäftigt.
Sind wir nun in der „Facebook-Gesellschaft“ wahre Freunde?
Allein an den vorliegenden Fakten kann der Rationalist, bzw. der Experte, in diesem Falle der Psychologe, ganz klar sagen: Nein. Wie der Leser nun weiß, braucht es für das Entstehen von Freundschaften ein gewisses Vertrauen, das einzig und allein durch Nähe entsteht. Wenn aber nur passiv miteinander gechattet wird, bevor es zu einem Treffen kommt, wird die ganze Beziehung viel unverbindlicher, was sich auch auf das Vertrauen und die Ehrlichkeit zu-, bzw. untereinander auswirkt. Dieses ist wiederrum notwendig, um das Band so zu knüpfen, dass es auch hält, wenn exogene Einflüsse versuchen es zu zerschneiden. Weiterhin schafft Facebook für das Subjekt eine Parallelwelt, welche das Individuum daran hindert, seine sozialen Kompetenzen weiterzuentwickeln. Als Fazit kann jeder normal denkende Mensch somit ziehen: Soziale Netzwerke sind Gift für zwischenmenschliche Beziehungen. Hierbei verweise ich auf einen kurzen, prägnanten und signifikanten Artikel, der im Focus erschienen ist.
2013